1. Problemaufriss
Wie sie im Laufe des Jahres erkannt haben dürften, verlangt das Leiten einer Klasse Führungsqualitäten.
Weil Führungskultur natürlich nicht nur in der Schule sondern auch in Industrie, Handwerk und sonstigen Dienstleistungsbetrieben eine Rolle spielt, werde ich ganz kurz ein Führungsmodell vorstellen. Auf die Unterschiede zum pädagogischen Bereich gehe ich später ein.
Exemplarisch sei hier das Führungsmodell des Fiat
- Konzerns dargestellt
.
Als Berater des Fiatkonzerns beschreibt Robert Dilts (Quelle: Mitschrift
eines Vortrages) die Führungsqualitäten, in dem er die Organisation
nach 4 Dimensionen analysiert:
1. Selbstverständlich ist ein Unternehmen an einem Betriebsergebnis
orientiert.
2. Dies ist aber nur mit den darin arbeitenden Menschen zu erreichen.
3. Die corporate identity, die Firmenphilosophie, mit den darin beschriebenen
Werten ist ein weiteres Qualitätskriterium.
4. Da eine Firma auf dem Markt bestehen muss, sind die Eigenschaften neue
Informationen, neue Bedingungen zu erkennen, sich anzupassen wiederum wichtig,
um das Betriebsergebnis zu sichern.
Eine Führungskraft sollte nun in der Lage sein:
- Menschen zu schulen bzw. sie zu Schulungen anzuregen (coaching), sie
- zu unterstützen,
ihre Fähigkeiten und Talente anzuerkennen und sie bei deren Weiterentwicklung
zu unterstützen (empowerment).
Es nützt jedoch alles nichts, wenn die Ergebnisse und Prozesse - nicht kommuniziert, mitgeteilt
werden (sharing).
Da Gutes leider leicht die Tendenz besitzt, in Gewohnheiten zu erstarren, ist - die Ermutigung Neues anzupacken (stretching) für Industrieunternehmen essentiell.
Die Aufgabe des Führens durch Motivation der Mitarbeiter, sowie durch
die Darstellung der Firmenziele (Vision) können durchaus auf
die eines Schulleiters bzw. einer Lehrkraft 1 : 1 übertragen werden.
Darüber
hinaus sind Konsistenz (Kongruenz)
und der Wunsch, die Ziele zu verwirklichen, auch im Lehreralltag zu finden.
Da es entscheidende Unterschiede zwischen Schule und Wirtschaft gibt, lassen sich folgende Schlüsselfragen stellen:
- In der Wirtschaft lässt sich z.B. ganz deutlich die Qualität
eines Produktes messen.
Wie ist aber Qualität von Bildung in welchem Zeitraum festzustellen? - Hat eine kritische, auf Daten basierte Diskussion
an den Schulen eine qualitätssichernde Dimension?
Diese Frage wird sehr häufig kolportiert: "Das Wiegen macht die Sau nicht fetter". - Wie werden die Daten gewonnen und kommuniziert?
- ...
Es ist natürlich genau zu überprüfen, in wie weit Modelle der Wirtschaft auf die besonderen Verhältnisse des pädagogischen Sektors übertragen werden können.
Auftrag für jede Lehrkraft
In Baden - Württemberg wird es in Zukunft Auftrag der Schule und damit jeder einzelnen Lehrkraft sein sein, Schulentwicklung durchzuführen.
Dabei wird im allgemeinen zwischen den Säulen: Unterrichtsentwicklung, Personalentwicklung und Organisationsentwicklung unterschieden.
Ziel ist die Sicherung und Verbesserung der Ausbildung an den Schulen, dies wird mit dem Begriff Qualitätssicherung umschrieben.
2. Einige Ergebnisse aus PISA
Im Zusammenhang der internationalen Vergleichsstudien gesehen
löste erst die Ergebnisse von PISA 2000 bei den deutschen Kultusministerien
eine gewisse Hektik des Umdenkens ein, obwohl die vorhergehenden Studien
z.B. die verschiedenen TIMS-Studien seit etwa 1980 dem deutschen Bildungssystem
zunehmende Defizite bescheinigten.
Die werbewirksame Botschaft, dass die Leistungen der 15-jährigen Schüler
des Hochindustrielandes Bunderepublik Deutschland weit unter dem Schnitt
der OECD in der Nachbarschaft von Schwellen- bzw. Entwicklungsländern
liegen, gab den Anlass, eine gewisse Überheblichkeit und Selbsttäuschung
aufzugeben.
Der Mittelwert wird bei 500 definiert. Farbskalierung von links nach
rechts: braun unter Leistungsstufe I, gelb- Leistungsstufe I, blau
- Leistungsstufe II, Mittelwert - rot, blau - Leistungsstufe - III,
gelb -Leistungsstufe - IV, rot - Leistungsstufe V.
Die Analyse der Ergebnisse zeigte unter anderem; dass in den deutschen Ländern:
- eine große Anzahl der Fünfzehnjährigen nicht einmal die Niveaustufe I erreichten, bzw. das knapp 25% der Schüler weniger als II erreichten. Diese Schüler gelten als potentiell gefährdet, da das Bildungsniveau zu gering ist, um die Anforderungen des Berufslebens zu erfüllen.
- die Tatsache, dass die Höhe des sozialen Status mit dem Schulerfolg
relativ hoch korrelieren.
Im Klartext: Es findet eine soziale Auslese statt, bei der Kinder von Migranten und Kinder aus "sozial-schwierigem" Milieu benachteiligt werden.
Im Vergleich zu den "Siegerländern" - so eine Schlussfolgerung
- erfolgt eine äußere Differenzierung zu früh.
Im Bezug zur Migrantenproblematik ist mehr auf Sprachförderung im Kindergarten
und in der Grundschule Wert zu legen.
gelb: Unter Leistungsstufe I, blau: Leistungsstufe I.
Kritik an den Studien
Da diese Ergebnisse natürlich nicht in die vorherrschende Meinung passten, ließen sich in den Zeitungen - vor allem denen der Lehrerverbände - folgende Argumente finden:
- Die Staaten sind in ihren Ausgangsbedingungen nicht vergleichbar.
- Die Testbedingungen seien für deutsche Schüler außergewöhnlich.
- In anderen Nationen sind keine vergleichbaren Integrationsleistungen notwendig.
- Die Schüler seien nicht motiviert gewesen. "An einigen Schulen haben Lehrer und Schüler den Test nicht ernst genommen".
- Die Inhalte von PISA entsprächen nicht den Bildungsplänen.
- Die guten Ergebnisse von Bayern entstammen einer Stichprobenverzerrung.
- Ideologische Kämpfe zwischen Anhängern des gegliederten Schulwesens und der Gesamtschule würden die Ergebnisse nach gusto verwenden.
- Klassengröße und Lehrerausbildung würden nicht übereinstimmen.
- ...
[Viele dieser "Gegenargumente" werden in den Studien diskutiert und datenbasiert widerlegt.]
Gegenargumente
Gerade an dieser Argumentation lässt sich erkennen, wie wichtig datengestützte
Ergebnisse sind. Liegen Daten - nicht Meinungen oder Anmutungen - vor, dann
lässt sich argumentieren und die Sinnhaftigkeit der Ergebnisse kontrovers
diskutieren.
Zeigen mehrere voneinander unabhängige Untersuchungen in
die gleiche Richtung, dann können manchmal auch (sehr langsam) "Tabus"
wie z.B. die Gliederung des Schulsystems, der Erziehung im Kindergarten,
der Ausbildung von Lehrkräften, ... in Frage gestellt werden.
Die Entwicklung von Standards auf der KMK-Ebene bzw. in manchen Bundesländern hat in dieser Diskussion ihren Ursprung. Auch der Griff zu Verfahren und Betrachtungsweisen der Organisationsentwicklung, Rückgriffe auf die Systemtheorie (Steuerung von komplexen Systemen), ... verändert bereits im deutlichen Umfang die schulische Landschaft (z.B.: Selbstständigkeit von Schulen).
Entwicklungen
In der PISA-Studie von 2003 zeichneten sich überraschend Verbessungen im Ergebnis des Landes Baden Württemberg ab:
Im internationalen Vergleich erzielen die Schülerinnen und Schüler aus Baden Württemberg in allen Kompetenzbereichen überdurchschnittliche Leistungen (in 2000 lagen sie darunter, HB.) . Die Kompetenzwerte für Mathematik (512 Punkte), Lesen (507 Punkte), Naturwissenschaften (513 Punkte) und Problemlösen (521 Punkte) liegen jeweils signifikant über dem OECD-Durchschnitt. (Pisa 2003; S. 172 ff)
Seit den Ergebnissen von Pisa 2000 änderten sich also die Stellung im internationalen Gefüge. Ob dies auf die begonnen Reformen oder aber auf "teaching to the test" zurückführen lässt. ist z.T. umstritten. Da sich aber auch innerhalb der Länder weitere Verschiebungen ergaben, lassen sich begründet Reformeffekte vermuten.
Betrachten wir für den Bereich des Lehramtes an Grund- und Hauptschulen die Ergebnisse von Pisa 2003 in Baden Württemberg etwas differenzierter:
Zwischen den Realschulen und den Hauptschulen beträgt der Abstand in den Kompetenzbereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen etwa eine Standardabweichung (ca.100 Punkte). Die durchschnittliche Leistungsdifferenz zwischen Hauptschulen und Gymnasien erreicht eine Größenordnung von 1,7 Standardabweichungen. Die Spitzengruppe der 10 Prozent Leistungsstärksten an Hauptschulen erzielt Kompetenzwerte über dem Realschulmittelwert. Im Bereich Problemlösen zeigen sich für die Hauptschulen gegenüber den anderen Kompetenzbereichen bessere Leistungen. Der Unterschied (zwischen 13 und 20 Punkten) weist auf kognitive Potentiale hin, die noch besser in inhaltliche Kompetenzen umgesetzt werden könnten.
Trotz
schwierigen Voraussetzungen in der Hauptschule, so könnte eine
Schlussfolgerung sein, können Hauptschüler mehr leisten.
Im konstruktivistischen Sinne bedeutet dies, dass Erwartungshaltung und Ansprüche
der Lehrenden an Hauptschüler/innen zu einem Unterschied in Leistungsbereitschaft
und Können der Schüler führen.
3. Das Handwerkzeug: Standards
Weil die Ergebnisse von Bildungsbemühungen in Bildungsinstitutionen sehr schwer zu erfassen sind, wird als neues Paradigma der Kultusverwaltungen die Verfassung von Bildungsplänen in der Form von Standards verwendet. Standards sollen in diesem Sinne angeben, was ein (oder alle?) Schüler nach Abschluss einer bestimmten Schulzeit können muss/ müssen. Diese Sichtweise wird als "output-Orientierung" bezeichnet. Dazu müssen sie aber präzise formuliert sein.
Bei einer kritischen Sichtung der Standards von Baden-Württemberg lässt sich jedoch bald erkennen, dass ein Gemenge von "weichen" und "harten" Standards vorliegt. Wann hat z.B. ein Schüler "Sozialkompetenz oder Personalkompetenz" erreicht?
Um aus dieser "Unschärfe" der Begriffslage herauszukommen, könnte jede einzelne Schule - so meine Vision - für ihre spezifische Schülerschaft ( neben sächlicher und personaler Ausstattungeine eine weitere "input-Variable") im Schulcurriculum festschreiben, was es heißt, wenn Standard X erreicht wurde. Mit Hilfe eines so festgeschriebenen Curriculums ließe sich dann auch messen, ob die Schülerschaft diese Kompetenz auch erreicht hat.
- Wenn Ja - dann läge hier ein bewährter Bestandteil des Curriculums vor.
- Wenn nicht - dann wäre zu begründen, weshalb nicht und Verbesserungsvorschläge sind zu entwickeln.
- Mit so einem Vorgehen, wäre der einzelne/ die einzelne Kollege/in z.T. auch entlastet.
Damit wird auch deutlich, dass die Gemeinschaft der Lehrer und Schüler
das Curriculum weiter entwickeln und dass es nach dieser Philosophie auch
kein "perfektes" Curriculum geben kann.
Die Niveaukonkretisierungsaufgaben stellen in diesem Zusammenhang
einen allgemeinen Erwartungshorizont dar, der ein Auseinanderdriften der
Ansprüche verhindern könnte.
Leider zeichnen sich aber Tendenzen ab, dass Schulen von so einer Aufgabe überfordert sind. Deshalb könnten staatliche Vorgaben zu härteren Standards führen.
Zur genaueren Definition von Standards vergleichen Sie bitte ihre Unterlagen oder gehen sie zurück zum Kapitel Leisten.
4. Vom Umgang mit den Standards
Am Beispiel der Seminarstandards für Ihre Ausbildung wird das Ableitungsverfahren kurz dargestellt:
Vom Standard zur Kompetenz
Standards sind in Baden -Württemberg allgemeine, abstrakte Merkmalsbündel. Dies kann gut an den ab 2007 geltenden Standards für die Seminararbeit an Hand einiger Pädagogikstandards aufgezeigt werden:
Unterrichten und Erziehen
|
|
Kompetenzen Die Lehreranwärterinnen und |
Themen und Inhalte |
… können Lehr- und Lernprozesse zielgerichtet planen, organisieren, gestalten und reflektieren. |
Grundlagen des Lehrens und Lernens |
… können Schülerinnen und Schüler motivieren und befähigen sie, vernetzt zu denken und das Gelernte anzuwenden. |
Konstruktivistisches Denken und Handeln |
… kennen entwicklungspsychologische, soziale und kulturelle Vorraussetzungen der Schülerinnen und Schüler und fördern deren individuelle und soziale Entwicklung. |
Identitätsentwicklung |
… vermitteln Werte und Normen und unterstützen selbstbestimmtes Urteilen und Handeln. |
Lehrerpersönlichkeit |
… können schulische Konfliktfelder beschreiben, reflektieren, sowie Lösungsansätze entwickeln, begründen und umsetzen. |
Soziale Lernprozesse |
Wenn wir die Standardformulierung: " ....können schulische Konfliktfelder beschreiben, reflektieren, sowie Lösungsansätze entwickeln, begründen und umsetzen" herausgreifen, so lässt sich das Bündel nach folgenden Kriterien aufdrösseln:
- beschreiben schulischer Konfliktfelder;
- reflektieren Konfliktfelder;
- entwickeln Lösungsansätze;
- begründen Lösungsansätze;
- führen Konfliktlösung im Klassenzimmer durch.
Zur notwendigen Operationalisierung sind nun beobachtbare, sinnlich erfassbare Indikatoren zu definieren:
Kriterium | Indikator |
---|---|
beschreiben schulischer Konfliktfelder | nennt (1,2, ...?) schulische Konfliktfelder: z.B Unterrichtsstörungen, Schulschwänzer, Heterogenität, Übergänge; Leistungsverweigerung; ... |
reflektieren Konfliktfelder | beschreibt eigene Erfahrungen; greift auf (1,2, ...?) Autoren zurück; wägt die Ansätze ab; vergleicht Literatur mit eigener Erfahrung; ... |
entwickeln Lösungsansätze | beschreiben Verfahren aus "trial und error"; verwenden Ansätze aus der Literatur; kennen (1, 2, ...?) Unterstützungssysteme .... |
begründen Lösungsansätze; | setzen sich explizit mit (1, 2, ....?) Autoren auseinander; vergleicht die Ansätze; bewertet die Ansätze; misst theoretische Ansprüche an der Praxis; .... |
führen Konfliktlösung im Klassenzimmer durch | arbeiten präventiv mit folgenden Methoden: .....; lösen aktuelle Konflikte z.B. setzen bestimmte Programme sachgerecht ein; ...
|
Aus der Auflistung dürfte deutlich werden, dass die Beschreibung von Indikatoren sehr viel Arbeit voraussetzt. Zudem in Baden - Württemberg es keine Festlegung darüber gibt, wieviel Ereignisse bei den Indikatoren zutreffen müssen (etwa 70 % oder 80% ?), damit der Standard als erfüllt gilt. Einziger Anhaltspunkt sind für den Schulbereich die Niveaukonkretisierungsaufgaben.
Wenn sie den Auszug aus den Standards für LAs noch einmal betrachten, prüfen sie sich selbst, in wieweit sie als Anfänger/in diese Standards erfüllen können.
Können Kollegen/innen mit 10 Jahren Diensterfahrung diese Standards erfüllen?
Bei dem Bilden von Indikatoren sind also realistische Ansprüche zu bedenken!
Literatur
Pisa-Konsortium Deutschland (Hrsg.;
2005): "Pisa 2003. Der zweite Vergleich der Länder
in Deutschland - Was wissen und können Jugendliche?" Waxmann
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